Russland wird das erledigen

"Russland wird das erledigen"

Ex-Bundeswehrgeneral: Müssen uns Moskaus Strategie in Syrien anpassen - Tornados haben eher Symbolwert

"Wir werden noch lange mit dem Terrorismus leben müssen."

CHEMNITZ- Soll der Westen mit Diktator Assad zusammen den IS bekämpfen? Es wäre ein radikaler Kurswechsel. Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, hält ihn für unvermeidlich. Stephan Lorenz sprach mit ihm auch über das deutsche Engagement in Syrien.

Presse: Bundeswehr-Tornados in Syrien? Was halten Sie davon?
Harald Kujat: Wir zeigen damit politisch Solidarität mit unserem wichtigsten europäischen Verbündeten. Der Einsatz ist daher eher Mittel zum Zweck. Auch militärisch ist das ganz ordentlich, was wir anbieten. Es ist aber nicht der entscheidende Beitrag zum Sieg über den IS in Syrien.

Bringen die monatelangen Luftschläge wirklich etwas? Der IS ist immer noch dort.
Wir haben einiges erreicht. Strategisch wichtige Ziele wie die Ausbildungslager, die Kommandozentralen und Versorgungslinien sind bereits zerstört.

Warum dann noch Tornados hinschicken?
Wir müssen den Druck auf den IS aufrechterhalten. Die Terroristen sollen sich unter ständiger Bedrohung durch die Lufteinsätze fühlen. Während der Westen weiter stratgische Ziele bekämpft, geht Russland bereits zur direkten Unterstützung der regulären syrischen Armee aus der Luft über. Ähnlich sind übrigens die Amerikaner im Irak vorgegangen. Dort haben sie die Kurden unterstützt, die dann Mossul vom IS befreien konnten.

Man braucht also jetzt Bodentruppen?
Ja, denn wenn die IS-Kämpfer sich in Städte zurückziehen und dort unter den Zivilisten leben, sind sie durch Luftangriffe nur schwer zu bekämpfen, wenn man zivile Opfer vermeiden will. Zumal die Aufklärung von Zielen kaum möglich ist. Man kommt um den Einsatz von Bodentruppen nicht herum.

Wer soll das machen? Der französische Präsident Hollande kündigte bereits an, auch mit Syriens Diktator kooperieren zu wollen?
Ich plädiere schon länger dafür, die russische Strategie als richtig anzuerkennen. Sie besteht darin, die syrische Armee, also Assads Truppen, auszubilden und mit Waffen auszurüsten, damit sie dem IS gewachsen sind. Niemand sonst will doch dort Bodentruppen einsetzen, auch die Russen nicht. Das kann ich nachvollziehen. Dann bleibt aber nur die syrische Armee übrig; dazu die Kurden, die bisher schon ganz erfolgreich waren.

Und Diktator Assad wäre aus der Klemme?
Nein. Die Russen unterstützen nicht Assad, sondern sie benutzen ihn, zumindest solange sie die syrische Armee brauchen. Wenn das Assad-Regime weg wäre, würde auch die Armee kollabieren. Solange die gebraucht wird, wird Moskau Assad akzeptieren. Gleichzeitig muss der Westen gemeinsam mit Russland sowie den Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran den politischen Prozess vorantreiben. Nach einer Übergangsregierung und bei freien Wahlen wird Assad in Syrien keine Rolle mehr spielen. Die Gespräche dazu in Wien sind auf einem guten Weg. Diese Ansicht scheint jetzt in Frankreich die Oberhand zu gewinnen.

Neben der Assad-Armee könnten doch auch die Kurden eine Rolle am Boden spielen?
Ja, richtig, aber die Kurden im Norden Syriens sind eigentlich mehr daran interessiert, ihren Einflussbereich zu verteidigen, während die Kurden im Irak eher versuchen, vom IS besetzte Gebiete zurückzugewinnen

Würde der Westen nicht sein Gesicht verlieren, wenn er jetzt in irgendeiner Form mit Assad kooperiert?
Das muss er nicht, weil das Russland erledigt. Moskau macht das, was notwendig ist. Da müssen wir uns nicht verbiegen. Ich will auch keine Bilder, auf denen westliche Politiker Assad die Hand schütteln. Dazu wird es auch nicht kommen.

Wie kann man verhindern, dass der IS von Syrien in andere Regionen ausweicht?
Wir können Syrien und den Irak vom IS-Terror befreien und damit den Terrorismus insgesamt eindämmen. Der IS wird jedoch bei einer Niederlage in diesen Ländern in andere Bereiche ausweichen, wahscheinlich nach Afrika südlich der Sahara. Er wird sicherlich auch seine Basis in Libyen ausbauen. Wir sollten uns deshalb nicht täuschen: Wir werden noch lange mit Terrorismus leben müssen. Auch mit dem IS, vielleicht unter anderer Bezeichnung. Nur wenn der Westen die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen in den Gebieten, in denen der Terrorismus Fuß fassen könnte,grundlegend verbessern, werden wir auf Dauer die Oberhand gewinnen.


Harald Kujat

Der deutsche General a. D. der Luftwaffe wurde 1942 in Mielke im Kreis Obornik (heute Polen)geboren. Er begann 1959 eine Ausbildung bei der Luftwaffe der Bundeswehr. 1962 wurde er mit einer Medaille des Senats der Hansestadt Hamburg für seinen Einsatz während der Flutkatastrophe ausgezeichnet. Von 2000 bis 2002 war Kujat Generalinspekteur der Bundeswehr. Danach hatte er in den Jahren 2002 bis 2005 den Vorsitz des Militärausschusses der Nato inne. Im Juni 2005 wurde Harald mit allen Ehren in den Ruhestand verabschiedet.

Quelle: Freie Presse 28.11.2015